In dem Rechtsstreit ging es um einen Pferdekauf.
Das 14-jährige Pferd war bei der Kaufuntersuchung lahmfrei und auch röntgenologisch untersucht. Die Röntgenbefunde waren altersgerecht.
Bei seiner neuen Besitzerin war der Wallach jedoch bald lahm. Der Zustand verschlechterte sich. Bei einer Arthroskopie wurden schließlich schwere Knorpelläsionen in dem betroffenen Fesselgelenk festgestellt.
Was war durch den Gerichtsgutachter festgestellt?
Frage des gerichtlichen Beweisbeschlusses an den tierärztlichen Sachverständigen war, ob der lahmheitsursächliche Knorpelschaden als Lahmheitsursache bereits bei Übergabe an die Käuferin vorgelegen hatte oder angelegt gewesen sen.
Duch den Gerichtsgutachter wurde im Ergebnis festgestellt, dass die Lahmheit unter dem Strich durch einen entsprechenden Knorpeldefekt verursacht gewesen sei, der nicht durch das Röntgen, sondern nur durch eine entsprechende Arthroskopie festgestellt werden konnte. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser Knorpeldefekt zum Zeitpunkt des Kaufes des Pferdes noch nicht vorgelegen hatte.
Die Klägerin beauftragte daraufhin das Gegengutachten einer ö.b.v. tierärztlichen Sachverständigen
Das im Auftrag der Käuferin / Klägerin erstellte veterinärfachliche Gegengutachten begründete, warum diese Feststellung des tierärztlichen Sachverständigen unzutreffend war. Dazu mussten zunächst die Besonderheiten des Gelenkknorpels erläutert werden:
I. Der Gelenkknorpel
Der Gelenkknorpel ist ein spezialisiertes, gefäßfreies Stützgewebe, das die Gelenkflächen bedeckt und eine zentrale Rolle in der Lastverteilung sowie der reibungsarmen Bewegung der Gelenke spielt.
Histologisch handelt es sich um eine Form des hyalinen Knorpels, der sich durch eine homogene, glasige Matrix auszeichnet und im Wesentlichen aus folgenden Komponenten besteht:
I.1. Chondrozyten
Diese sind die einzigen Zellen des Knorpels und für die Synthese und den Erhalt der extrazellulären Matrix (EZM) verantwortlich. Sie liegen in Lakunen eingebettet und sind metabolisch relativ inaktiv, reagieren jedoch auf biomechanische Reize, wie z.B. den Druck der sie umgebenden Matrix.
I.2. Extrazelluläre Matrix (EZM)
Die EZM macht über 95 % des Volumens des Knorpelgewebes aus und besteht aus einem
– kollagenen Fasernetz, das in einem spezifischen Bogen-bzw. Brückenkonstrukt angeordnet ist und dem Gewebe strukturelle Stabilität verleiht.
– Proteoglykanen,
gebunden an Hyaluronsäure, die in Verbindung mit Wasser für die osmotischen Eigenschaften des Knorpels (Druckelastizität) verantwortlich sind.
– Wasser
Etwa 65–80 % der Knorpelmasse bestehen aus interstitiell gebundenem Wasser, das eine tragende Rolle bei der Stoßdämpfung übernimmt und durch die Bewegung von Ionen den Stoffwechsel der Chondrozyten ermöglicht.
Wichtige Besonderheiten des Gelenkknorpels
Für das Verständnis der Pathogenese, der klinischen Symptomatik sowie der Röntgenbefunde bei chronisch degenerativen Gelenkerkrankungen des Pferdes (Arthrosen) sind folgende Besonderheiten des Gelenkknorpels zu berücksichtigen.
Gelenkknorpel ist nicht durchblutet
Der Gelenkknorpel ist ein sogenanntes bradytrophes Gewebe. Er ist nicht durchblutet, der Stoffwechsel erfolgt über die Gelenkflüssigkeit (Synovia).
Gelenkknorpel hat keinerlei Schmerzempfindung
Der Gelenkknorpel ist nicht innerviert, d.h. die Knorpelläsion ist als solche niemals schmerzhaft.
Der Schmerz (die Lahmheit) bei Arthrosen entsteht entweder infolge der entzündlichen Reaktion der Gelenkinnenhaut z.B. auf ausgeschwemmte oder abgeschilferte Knorpelbestandteile und/oder durch schmerzhafte Reaktionen des darunter liegenden Knochens.
Gelenkknorpel hat keinerlei Heilungstendenz
Läsionen des hyalinen Gelenkknorpels zeigen bei Adulten (ausgewachsenen Pferden) keinerlei Heilungstendenz. D.h. es gibt keine anatomische Heilung von Gelenkknorpelläsionen.
Eine Läsion des Gelenkknorpels – gleich wodurch- ist daher stets Auslöser eines irreversiblen arthrotischen Prozesses.
Mit der im weiteren Verlauf möglicherweise entstehenden jeweiligen, konkreten klinischen Symptomatik hat diese Tatsache nur mittelbar zu tun.
Festzuhalten blieb durch die tierärztliche Sachverständige:
Die Schmerzhaftigkeit/Lahmheit bei Osteoarthrosen resultiert nicht aus der Knorpelläsion als solches, sondern aus entzündlichen Reizungen/Reaktionen der Gelenkinnenhaut und/oder aus Sklerosierungen und kompensatorischen Um-und Anbauprozessen infolge schmerzhafter Reizungen des subchondralen Knochens und der hochsensiblen Knochenhaut.
Diese reaktiven knöchernen Umbauprozesse sind im Ergebnis röntgenologisch darstellbar.
Die. diese typischen reaktiven, arthrotischen Veränderungen auslösende Knorpelläsion liegt dann bereits lange zurück. Sie bleibt i.d.R. unbemerkt und ist auf Röntgenbildern als solche nicht darstellbar.
II. Verletzung des Gelenkknorpels ist das zentrale Element jeder Arthrose
Die Läsion des kollagenen Fasernetzes des Gelenkknorpels ist das zentrale Element jeder chronisch degenerativen Gelenkerkrankung.
Denn eine Läsion des kollagenen Fasernetzes führt irreversibel zu einem Ausschwemmen von Proteoglykanen und Wasser in den Gelenkinnenraum.
Die für optimale Funktion erforderliche prallelastische Konsistenz des Gelenkknorpels lässt infolgedessen nach.
Die Knorpelzellen reagieren auf den Druckverlust der sie umgebenden Matrix mit einer vermehrten Produktion von Proteoglykanen.
Dabei handelt es sich jedoch zwangsläufig um eine frustrane Reaktion, die infolge der Läsion des Fasernetzes den Matrixverlust, das Ausschwemmen von Proteoglykanen in den Gelenkinnenraum nicht aufhalten kann.
In der Folge kommt es zu einer Vielzahl hochkomplexer Kompensationsmechanismen, die darauf gerichtet sind, die Funktionalität des Gelenkes aufrechtzuerhalten.
So versucht der Organismus durch Um-und Anbauvorgänge im Bereich des subchondralen Knochens die infolge des fortschreitenden Proteoglykanverlustes sich verschlechternde Druckelastizität und Funktionalität des Gelenkknorpels auszugleichen.
Knöcherne Veränderungen sind auf dem Röntgenbild darstellbar
Erst diese knöchernen Veränderungen sind röntgenologisch darstellbar, typisch sind Randwulstbildungen, Ausziehungen und Sklerotisierungen im Bereich des unter dem Gelenkknorpel liegenden (subchondralen) Knochens.
In welcher Art und welchem Ausmaß knöcherne Veränderungen entstehen, ob überhaupt und wann es zu Schmerzhaftigkeit, d.h. zu klinischer Symptomatik i.S. einer Lahmheit kommt, ist nicht vorhersehbar.
Art und Ausmaß knöcherner Veränderungen stehen auch nicht in direktem Zusammenhang mit der klinischen Symptomatik. Deshalb sind bei klinisch unauffälligen Pferden anhand vorliegender Röntgenbefunde auch keine Prognosen möglich.
Denn die Lahmheit ist keine Folge röntgenologisch darstellbarer, in der Vergangenheit abgelaufener knöcherner Umbau-oder Anbauprozesse.
Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass Pferde mit denselben arthrotischen Röntgenbefunden lahm gehen können oder auch nicht.
Vielmehr entsteht der Schmerz (die Lahmheit) entweder durch entzündliche Reaktion der Gelenkinnenhaut, z.B. durch Kontakt mit Knorpelabschilferungen (Detritus) des arthrotisch lädierten Gelenkknorpels oder durch schmerzhafte Veränderungen, z.B. Sklerotisierungen im Bereich des subchondralen Knochens.
Die Verletzung des Gelenkknorpels ist das auslösende Moment jeder chronisch degenerativen Gelenkerkrankung
Bereits geringfügige strukturelle Störungen, insbesondere im kollagenen Faserverbund, führen zu einer Destabilisierung der Matrix und fortschreitender Verschlechterung der Materialeigenschaften des Gelenkknorpels.
Die Knorpelläsion ist somit das zentrale Moment bei der Entstehung von Arthrosen.
Die röntgenologisch darstellbaren, für Arthrosen typischen knöchernen Um-und Anbauprozesse -ob lahmheitsursächlich oder nicht- sind stets Folge sich verschlechternder Materialeigenschaften eines primär lädierten Gelenkknorpels.
Dies ändert nichts an der Tatsache, dass Knorpeleinbrüche oder Auffaserungen über entzündliche Reaktionen zu akuter, rezidivierender oder chronischer Lahmheit führen können.
Lahmheit bei Arthrosen resultiert aus Entzündung und/oder knöchernen Verhärtungen
Die Schmerzhaftigkeit/Lahmheit bei Osteoarthrosen resultiert somit nicht aus der Knörpelläsion als solches, sondern aus entzündlichen Reizungen/Reaktionen der Gelenkinnenhaut und/oder aus Sklerotisierungen und kompensatorischen Um-und Anbauprozessen infolge schmerzhafter Reizungen des subchondralen Knochens und der hochsensiblen Knochenhaut.
Die auslösende Knorpelläsion bleibt unbemerkt
Diese reaktiven knöchernen Umbauprozesse sind im Ergebnis röntgenologisch darstellbar, die auslösende Knorpelläsion liegt dann bereits lange zurück. Sie bleibt als solche unbemerkt.
III. Arthrose bestand bereits vor der Übergabe des Pferdes
In der Gesamtbetrachtung ergab sich daraus folgendes:
Da bereits zum Zeitpunkt der Übergabe röntgenologisch darstellbare, typische arthrotische Veränderungen des subchondralen Knochens des rechten Fesselgelenkes des Pferdes vorlagen, war durch die Sachverständige/ Parteigutachterin mit Sicherheit auszuschließen, dass die den arthrotischen Prozess auslösende und als solches stets schmerzfreie Knorpelläsion später entstanden ist als die reaktiven Veränderungen des subchondralen Knochens (Randexostosen).
Die Knorpelläsion hatte mit Sicherheit bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorgelegen.