Haftungsgutachten nach einer Weidezaunverletzung
In dem Prozess ging es um eine Verletzung nach Verfangen eines Pferdes im Weidezaun und die Haftung des Stallbtreibers.
Die Beweisfragen an die Gerichtssachverständige betrafen die Verletzungsursache und die Frage, ob der (Elektro -) Weidezaun nicht sach-und fachgerecht installiert und dies kausal für das Verfangen des Pferdes in der Litze und dessen Verletzung gewesen sei. Es ging um die Haftung des Stallbetreibers.
Die Hütespannung bei Weidezäunen mit Elektrolitzen
Die Einzäunung von Pferdeweiden muss so beschaffen sein, dass größtmögliche Sicherheit für Tier und Mensch gewährleistet ist. Dabei müssen die Sicherheitsvorkehrungen auch praktikabel sein. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.
Für die grundsätzlichen Anforderungen an Einzäunungen für Pferde gibt es Richtlinien, u.a. des BMEL, die je nach den konkreten Umständen angewandt werden sollten. D.h. soweit praktikabel und zumutbar.
Vorliegend handelte es sich um einen Innenzaun mit stromführenden Litzen, der offenbar zum Abteilen einer Portionsweide diente.
Je nach Risikobereich werden in den o.g. Richtlinien 2-4 Querabgrenzungen, für die Höhe der ersten Querabgrenzung eine Höhe von 40-70 cm über Grund empfohlen.
Bei alleiniger Verwendung von Elektrozäunen müssen hinreichende Stabilität und Sichtbarkeit beachtet werden.
Von besonderer Bedeutung ist, dass die erforderliche Hütespannung von mindestens 2 kV an jeder Stelle des Zaunes erreicht wird.
Was ist eine wirksame Hütespannung ?
Eine wirksame Hütespannung erreicht mindestens 2 kV und entsteht, wenn der Strom bei einem Tierkontakt über das Tier in den Boden und über die Erdung zum Weidezaungerät zurückfließt (geschlossener Stromkreis: Gerät → Litze → Pferd → Boden → Erdung → Gerät.).
Ein Weidezaungerät schickt kurze Hochspannungsimpulse in die Litzen. Die Pulsdauer beträgt wenige Millisekunden.
Bei langen Strecken sind niederohmige Leiter und Verbindungen zu verwenden (dicke Kupfer- oder Aluminiumadern), einwandfreie Erdung und tägliche Spannungsmessungen an kritischen Punkten sind erforderlich, um die erforderliche Hütespannung ≥ 2.000 V über die jeweils gesamte Strecke sicherzustellen.
Leckstrompfade durch Aufwuchs – Abfall der Hütespannung
Berührt Aufwuchs (Gras/Strauchwerk) die untere Litze, entstehen sog. Leckstrompfade. Jeder dieser Kontakte wirkt als zusätzliche Last. Die Summe vieler kleiner Ableitungen senkt den Gesamtwiderstand des Zaunes, der Gerätestrom steigt und es kommt zu Spannungsabfällen entlang der Leitung.
D.h. ein Teil der Pulsenergie wird fortlaufend in die Vegetation „verheizt“.
Dieser Effekt verstärkt sich bei feuchter Vegetation (Tau/Regen → höhere Leitfähigkeit), bei langen Zaunstrecken und hochohmigen Leitern (hochohmig=wenige, dünne Edelstahldrähte eingewebt), bei schlechter Erdung oder trockenen Böden (ungünstiger Rückweg).
In der Konsequenz fällt die Hütespannung streckenweise unter 2.000 V, die Abschreckwirkung solcher Elektrozäune nimmt deutlich ab mit der Folge, dass die Pferde den Zaun nicht mehr hinreichend respektieren.
Sie halten weniger Abstand, es kann leicht zu Kontakt, somit auch zu Verletzungen kommen.
Elektro-Litzen sind frei von Aufwuchs zu halten
Es ist daher unbedingt erforderlich, die untere Litze frei von Aufwuchs zu halten. Dies war vorliegend nicht geschehen.
Eines der Pferde hatte sich mit dem Hinterbein in einer Litze verfangen und in der Sprunggelenksbeuge verletzt.
In der Gesamtschau der vorliegenden Unterlagen kam das Sachverständigengutachten daher zu dem Ergebnis, dass die (Elektro -) Zaunanlage nicht sach-und fachgerecht installiert war und dies mit überwiegender Wahrscheinlichkeit kausal für das Verfangen des Pferdes in der Litze und dessen Verletzung gewesen war.
Wunden in der Sprunggelenksbeuge
Bei dem streitgegenständlichen Pferd lag eine Wunde im Bereich der Sprunggelenksbeuge vor. Diese Wunden sind oft problematisch.
Die anatomische Lage, die funktionelle Beanspruchung und Beweglichkeit dieser Region führen dazu, dass die physiologischen Abläufe der Wundheilung, insbesondere nach Riss-, Schnitt- und Quetschwunden erheblich gestört sein können.
Eine Ruhigstellung der Sprunggelenksbeuge ist auch mit einem aufwendigen, immobilisierenden Verband nur begrenzt möglich, so dass Bewegungen dieses Gelenkes oft nicht vollständig unterbunden werden können.
Durch die ständige Bewegung entstehen Zug- und Scherkräfte auf die Wundränder, was einen stabilen Wundschluss erschwert und Wundheilungsstörungen i.S. von Gewebehyperplasien bis hin zum sog. Narbenkeloid zur Folge haben kann.
Bei Verletzungen durch Weidedraht/Litzen kommt es typischerweise zu Haut- und Weichteilläsionen mit unregelmäßigem Wundrand, Gewebsdefekten und erheblicher bakterieller Kontamination.
Innerhalb kurzer Zeit entsteht durch Wundschwellung und Retraktion der Wundränder eine große Wundfläche.
Unter diesen Umständen ist eine primäre Wundheilung nicht zu erwarten. Die Heilung erfolgt regelmäßig sekundär, d. h. über Granulationsgewebe mit nachfolgender Epithelisierung.
Wundheilungsstörung Granulationsgewebshyperplasie
Durch die Sachverständige wurde erläutert, dass es gerade in der Sprunggelenksbeuge oft -wie auch vorliegend- zu einer überschießenden Bildung von Granulationsgewebe, der sog. Granulationsgewebshyperplasie kommen kann.
Es resultiert ein funktioneller Heilungsstillstand, bei dem zwar Gewebe gebildet wird, der eigentliche Wundverschluss jedoch ausbleibt.
Insbesondere bei älteren oder verzögert behandelten Wunden ist die Ausbildung einer ausgeprägten Granulationsgewebshyperplasie typisch. Dadurch kann sich ein chronischer Wundzustand entwickeln, der chirurgisches Eingreifen erfordert.
Um welche Fragen an die Sachverständige ging es für das Gericht?
Die erste Beweisfrage des Gerichts an die Sachverständige bezog sich auf die Ursache der Verletzung. Dabei ging es auch darum ob durch den Kontakt Verbrennungen aufgetreten seien.
Keine Verbrennungen durch Elektro-Litze
Ein Weidezaungerät gibt kurze Hochspannungsimpulse ab. Die Impulsdauer beträgt wenige Millisekunden und ist zu kurz, um Verbrennungen hervorzurufen, wie sie vorliegend durch eine Tierärztin beschrieben waren.
Die typischen Verletzungen nach Verfangen in einer Stromlitze entstehen vielmehr durch mechanische Einwirkung infolge Einschnürung. Die Läsionen verlaufen ringförmig oder halbkreisförmig. Oft liegt die Wunde an einer Stelle, wo die Litze unter Spannung in die Haut eingeschnitten hat (Strangulationns-/Einschneidungsmarke).
Die vorgelegten Fotos der Wunde zeigten das typische Verletzungsbild einer Litzenverletzung, keine Verbrennungen.
Eine weitere Beweisfrage an die Sachverständige fokussierte auf die Einzäunung:
War die (Elektro-) Zaunlanlage nicht sach-und fachgerecht installiert?
Hierbei ging es zum einen um die Querabgrenzung in Form von nur zwei Reihen Stromlitzen, zum anderen um die Höhe der unteren Litze.
Genügen zwei Reihen Stromlitze?
Zwei Reihen Stromlitze sind bei einer Inneneinzäunung nicht fachwidrig, die Höhe der unteren Litze war als solches zumindest nicht schadensursächlich, denn eine Selbstbefreiung ist auch bei einem Verfangen in einer Stromlitze niedrigerer Höhe nur unter erheblichen Verletzungsrisiken möglich.
Die Höhe der unteren Litze war offenbar wegen des besonders hohen Aufwuchses so gewählt worden, der durch die Zeugen beschrieben war.
Freischneiden im Zaunbereich ist unbedingt erforderlich
Damit kein Kontakt zu der Litze entsteht, ist bei hohem Aufwuchs ein Freischneiden/Mulchen im Bereich des Elektrozaunes unbedingt erforderlich.
Dieses Freischneiden war vorliegend offenbar nicht erfolgt. Berührt jedoch Aufwuchs (Gras/Strauchwerk) die untere Litze, entstehen sog. Leckstrompfade, die in Summe den Gesamtwiderstand des Zaunes senken.
Wenn die unterer Stromlitze nicht strikt von Aufwuchs freigehalten wird, kann keine wirksame Hütespannung aufrechterhalten bleiben.
Es kommt zu Spannungsabfällen entlang der Leitung, ein Teil der Pulsenergie geht fortlaufend verloren.
Infolgedessen mangelt es den Pferden an Respekt vor dem nicht massiven Zaun, so dass es eher zum Kontakt kommen kann, der wiederum Voraussetzung für das Unfallgeschehen ist.
Ohne Kontakt gibt es kein Verheddern und keine Verletzung
Im Ergebnis wurde in dem Gerichtsgutachten sachverständig festgestellt, dass ohne wirksame Hütespannung auch eine Querabgrenzung in Form von drei oder mehr, statt zwei Reihen Stromlitzen den erforderlichen Respekt der Pferde vor dem stromführenden Zaun nicht erhöht, insbesondere das Verletzungsrisiko nicht vermindert hätten.
Erforderliche Kontrollen des Weidezaunes und der Pferde
Die dritte Beweisfrage des Gerichts an die Sachverständige betraf die Weidezaunkontrollen und Sichtkontrollen der Pferde.
Dies muss mindestens täglich erfolgen, bei konkretem Anlass unverzüglich. Ein solcher Anlass war vorliegend aus Sicht der Sachverständigen unbedingt gegeben, denn eine zerrissene und 20 m lang auf der Weide liegende Litze war bereits am Vortrag entdeckt worden und hätte unbedingt Anlass geben müssen, die Pferde auf Verletzungen zu kontrollieren.
Dies war unterlassen worden.
Aus sachverständiger Sicht war diese Tatsache jedoch nicht kausal für die Wundheilungsstörung in der Sprunggelenksbeuge.